Von Gérard Wicht, Dozent und Berater, IAP Institut für Angewandte Psychologie

Auf Plakaten schauen einem Rosa (26), Hans Ulrich (28) oder Brigitte (35) freundlich entgegen: Dabei handelt es sich nicht um eine Ferienwerbung mit jüngeren, attraktiven Menschen, sondern um eine Werbeaktion für über 50-jährige Arbeitssuchende. Die Zahlen geben nicht das Alter an, sondern die Jahre an Berufserfahrung. Träger dieser 2013 lancierten Kampagne „Potenzial 50plus. Die Qualifikation zählt, nicht das Alter“ sind der Kanton Aargau, seine Wirtschaftsverbände und Gewerkschaften. Bemerkenswerterweise machen auch die Arbeitgeber mit. Vier von den sechs Personen, die sich für die Plakat-Aktion zur Verfügung stellten, haben inzwischen eine neue Stelle gefunden (NZZ, Sonderbeilage vom 16.4.2014).

Dies ist ein ermutigendes Beispiel für die Ansprache älterer Arbeitnehmer, auch deshalb, weil es von der öffentlichen Hand mitgetragen wird. Die OECD hat in einer 2016 publizierten Untersuchung die Schweiz dafür gerügt, dass sie Massnahmen für die Förderung der über 50-Jährigen ganz der Wirtschaft überlasse. In der Tat haben grössere Schweizer Unternehmen wie Swisscom, SBB, ABB oder Helsana damit begonnen, den Wert und die Erfahrung ihrer 55-60+-jährigen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter zu erkennen und zu schätzen. Zumeist werden diese Arbeitnehmenden dabei in ein neues Vertragsverhältnis überführt, arbeiten vornehmlich Teilzeit und betreuen weiterhin Schlüsselkunden. Sie machen in komplexen Projekten mit und begleiten als Tutoren oder Mentorinnen jüngere Kolleginnen und Kollegen. Häufig arbeiten sie auch zu einem reduzierten Lohn (und somit geringeren Sozialleistungen), was das Argument, ältere Mitarbeiter seien zu teuer, obsolet macht.

Das Alter: Die Suche nach neuer Sinngebung

Man täusche sich jedoch nicht: Diese Initiativen bilden in keiner Weise die Wahrnehmung ab, die älteren Arbeitnehmenden oder älteren Menschen generell in unseren westlichen Gesellschaften entgegenschlägt! Hier herrscht weiterhin das Bild eines nur von Defiziten geprägten Lebensabschnittes vor („Leben-„ ist hier als reiner Euphemismus zu verstehen!), der mit den Widrigkeiten des Rentenkollaps, Pflegenotstands und Harnstotterns, von Vergesslichkeit, Alzheimer und Multimorbidität fertig werden muss. Seinen Abschluss fand das Alter früher im Greisenasyl Gottesgnad in der asthmaverträglichen Höhenluft von Heiligenschwendi. Heutzutage heissen diese Verwahrungsinstitutionen „Seniorenresidenzen“ (der Premiumklasse), liegen eher an den Gestaden der Tessiner Seen (bzw. vermehrt im kostengünstigeren Ausland) und dienen findigen Investoren dazu, das Schweizer Volksvermögen abzuschöpfen.

Die saloppe Wortwahl ist Programm: Das junge und das mittlere Erwachsenenalter, die Zeit der Ausbildung, der beruflichen Karriereleiter und der Familiengründung zeichnen sich durch Begriffe wie Aktivität, Leistungserbringung, Lebenslust und Zukunftsplanung, Vermögensaufbau, ökonomischer Nutzen und Sinnerfüllung usw. aus. Man „definiert“ sich, so geht das Wort, über den Beruf, will heissen über Status und Prestige. Und im Alter? Erschöpft sich das mit 65 bzw. 64 Jahren staatlich verordnete Alter im Ruhe-Stand und Nichtstun? Und wie ist „Sinn“ von nun an zu definieren? Peter Gross sieht in seinem lesenswerten Büchlein „Wir werden älter. Vielen Dank. Aber wozu?“ (2013) in der (Neu-)Definition von „Sinn“ in unserer von Jugendwahn, Mobilität und Hochgeschwindigkeit geprägten Leistungsgesellschaft die grosse Herausforderung für die ältere Generation.

Generationen stehen für unterschiedliche Lebensentwürfe

Gross spricht von „Langlebigkeitsgesellschaften“, die sich durch die Gleichzeitigkeit von Leistung und Entschleunigung, von Entwicklung und Reflexion auszeichnen. In der Entwicklung einer 4 Generationen-Gesellschaft erkennt er ein grosses (Lern-)Potenzial; bestehen doch nebeneinander Lebensentwürfe von Kindern, Eltern, Gross- und Urgrosseltern, die erfahren werden können. Man bedenke, dass vor nicht allzu langer Zeit (ca. im Jahr 1950!), als die Lebenserwartung noch bei 65 Jahren lag, das Alter im Sinne der Nach-Pensionierung noch gar nicht existierte – und somit auch nicht ausgelebt werden konnte!

Leben in unserer Gesellschaft 4 Generationen, so arbeiten in manchen Unternehmen sogar 5 Generationen: Gemeint sind die inzwischen zum Allgemeingut gewordenen Alterskategorien der Nachkriegsgeneration, der „Baby-Boomer“ (die um 1955 Geborenen), der „Generation X“ (1966-1980), der „Generation Y“ (ab den Jahrgängen 1981) und schliesslich der „Generation Z“ (Jahrgänge ab ca. 1995). Frage: Wird es nach dem Buchstaben Z noch weitere Generationen geben können? Die nach den jeweiligen gesellschaftlichen und vor allem ökonomischen Bedingungen definierten ‚Generationen‘ stehen für unterschiedliche Lebensentwürfe und Zukunftsträume. Liegt nicht auch hier im Zusammenarbeiten dieser Generationenvielfalt ein ungeheures Kreativitäts-, Innovations- und Lernpotenzial? Die Frage ist rein rhetorisch, liegt es doch auf der Hand, dass dabei alle voneinander zum Nutzen aller lernen können!

Generationenmanagement in Unternehmen

Wie kann ein solches Generationenmanagement in den Betrieben aussehen? Welches sind die dafür notwendigen Voraussetzungen und Massnahmen? Können dabei Anbieter von Weiterbildung, wie das IAP Institut für Angewandte Psychologie, eine Rolle spielen? Dass Menschen bis ins hohe Alter lernfähig sind, ist mittlerweile hinlänglich bekannt: die sog. „fluide Intelligenz“ (Verarbeitungsgeschwindigkeit beim Lernen neuer Inhalte) nimmt zwar ab, die „kristalline Intelligenz“ (zum Beispiel die Problemlösungsstrategien) hingegen nicht. Sie ist sogar meist ausgeprägter als bei jüngeren Menschen. Die aktuell in diesem Themenbereich sehr aktive Forschung zeigt, dass Ältere ein hohes Mass an Selbst- und Sozialkompetenzen (Team- und Konfliktfähigkeit, Umgang mit schwierigen Situationen) mitbringen.

Als Dozent und Berater erfahre ich in den Unternehmen und von den Teilnehmenden an unseren Studiengängen immer wieder, dass heute in der Wirtschaft vor allem diese Kompetenzen gefragt sind. Diese Fähigkeiten sind die Frucht von Erfahrung, also der „USP“ von älteren Mitarbeitenden schlechthin. Erfahrung ist somit ein hohes Gut. Im Sinne eines gelingenden Generationenmanagements ist an dieser Stelle jedoch zu betonen, dass Wissensweitergabe in beide Richtungen gehen muss: Nicht nur von Alt zu Jung, sondern auch von Jung zu Alt (vor allem in den Fach- und Methodenkompetenzen). So betont der Schweizer Altersforscher François Höpflinger zu Recht, dass vielerorts die Lernhierarchie gedreht werden müsse: „Die Jungen müssen den Alten sagen, wie Management heute funktioniert.“ (ZESO, Zeitschrift für Sozialhilfe 04/16)

Integration älterer Mitarbeitender: Voraussetzungen und Massnahmen

Daniela Eberhardt, die Direktorin des Human Resources Management der Stadt Zürich und frühere Leiterin des IAP Institut für Angewandte Psychologie, hat zusammen mit der Psychologin Margareta Meyer 2011 die Resultate ihrer in Deutschland und der Schweiz durchgeführten Umfragen im Buch „Mit Führung den demographischen Wandel gestalten“ veröffentlicht. Das von anderen Forschungen bestätigte Ergebnis zeigt die hervorragende Rolle der Vorgesetzten bei der Integration bzw. Weiterbeschäftigung von älteren Kolleginnen und Kollegen. Die Studie zeigt indessen auch, dass die Einstellung der befragten Führungskräfte (‚Wir sind bereit, ältere Mitarbeitende weiter zu beschäftigen‘) der gelebten Realität noch überhaupt nicht entspricht.

In der Literatur werden weitere wichtige Voraussetzungen für die Integration genannt. Ihnen entsprechen auch gleich die davon abzuleitenden Massnahmen:

  • Als wichtigste Voraussetzung ist die Überzeugung zu nennen, dass ältere Mitarbeitende auch wirklich einen Mehrwert für das Unternehmen zu schaffen vermögen! Dazu gehört eine wertschätzende Haltung sowie die Bereitschaft, den älteren Kolleginnen auch wichtige Aufgaben mit Gestaltungsspielraum zu übertragen – und nicht nur ‚einfache‘ Routinetätigkeiten.
  • Die Älteren werden in der Regel Teilzeit und flexibel arbeiten wollen. Die neuen digitalen Möglichkeiten vereinfachen zudem ein Arbeiten zu Hause. Beides muss möglich sein!
  • Wie auch die Jüngeren, schätzen Ältere es, wenn sie individuell geführt werden und man sie auch dort einsetzt, wo sie ihre Stärken und Vorlieben haben. Andererseits soll von ihnen erwartet werden können, dass sie Status und Verantwortung abgeben können und zu einem geringeren Lohn arbeiten.
  • Ein aktives Gesundheitsmanagement im Betrieb fördert das Sozialklima und die Arbeitszufriedenheit – auch bei jüngeren Mitarbeitenden!
  • Die älteren Kollegen müssen bei ausgewiesenem Bedarf auch in Massnahmen der Weiterbildung integriert werden; auf diese Weise fühlen sie sich auch weiterhin mit ihrem Unternehmen verbunden.
  • Erste Erfahrungen zeigen, dass altersdurchmischte Teams zu einer grösseren Zufriedenheit und besseren Ergebnissen führen als altersspezifische. Gerade hier kann das Generationen-übergreifende Wissensmanagement Früchte tragen, sei es in sogenannten gleichberechtigten Know-how-Tandems oder in Mentoring-Beziehungen.

Aus meinen persönlichen Erfahrungen als Berater für Unternehmen finden sich Jobs für Ältere vor allem in Steuerungs- und Kontrolltätigkeiten (Qualitätsmanagement), bei komplexen Aufgaben mit hohem sozialem Aufwand, in Verhandlungen mit langjährigen Geschäftspartnern, in denen Lebenserfahrung und souveränes Auftreten von Bedeutung sind. (Ich habe erlebt, dass etwa in asiatischen Kulturen jüngere Vorgesetzte aus Europa kaum akzeptiert werden.) Denkbar sind auch Leitungsfunktionen, in denen die Berufserfahrung und Betriebskenntnisse eine Schlüsselrolle spielen.

Wie kann man Generationenmanagement planen?

In der Praxis hat sich zur Erhebung des aktuellen Generationenbestandes des Personals eine 3 Schritte-Methode etabliert:

  1. In einer „Altersstrukturanalyse“ wird die entsprechende Generationenpopulation erhoben,
  2. in der folgenden „Schnellanalyse“ (als Beispiel arbeitundalter.at) wird der Handlungsbedarf bei der aktiven Bewirtschaftung der Generationen eruiert, und
  3. in einem sog. „Work Ability Index“ wird die künftige Arbeitsmarktfähigkeit der unterschiedlichen Jahrgangskohorten ermittelt.

Das Eidgenössische Personalamt hat Beispiel gebend für die Bundesverwaltung eine Personalstrategie 2011 – 2015 entwickelt, die ein Kompetenzmanagement für 4 Generationen und entsprechende Weiterbildungsmassnahmen umfasst. In dieser Personalstrategie wird die dritte Generation (Alter ca. 45 bis 58) mit der Bezeichnung „Etablierung und Überblick“ beschrieben. Diese Bezeichnung bedeutet, dass diese Altersgruppe sich im Arbeitsleben bereits etabliert und einen Überblick gewonnen hat. Für sie enthält die Strategie beispielsweise den Kurs ‚Zukunftsplanung in der Lebensmitte‘, den das IAP entwickelt und bereits mehrfach durchgeführt hat. Dieser Kurs hat das Ziel, den Angestellten des Bundes ab Alter 45 Impulse und konkrete Ideen für die Gestaltung ihres Arbeits- und Privatlebens auch über die Pensionierung hinaus zu vermitteln. Dass solche Massnahmen gut ankommen und Mitarbeitende ab 45 sich gerne noch einmal neu in Leben und Arbeit positionieren, zeigt die grosse Nachfrage des Kurses.

Berufskarrieren in der Zukunft

Der bereits erwähnte François Höpflinger entwickelt in seinem weiter oben zitierten Interview interessante Szenarien, wie die Arbeitswelt in Zukunft aussehen kann: „Wir müssen ganz andere Berufskarrieren verstehen lernen. Wir müssen das Hintereinander von Lernen – Arbeiten – Rente in ein Neben- und Miteinander verwandeln. Wichtig wird lebenslanges Lernen, lebenslanges Aktivsein – bezahlt und unbezahlt, möglicherweise auch in der Form eines Zivildienstes….“ Diese Gedanken mögen sehr visionär anmuten, ich halte sie trotzdem für bedenkenswert, vor allem auch deshalb, weil sie die Trennung von Jung und Alt, von Aktivsein und Ruhestand und von damit implizierten Wertvorstellungen aufheben. Längeren Arbeitsphasen folgen Lern- bzw. Weiterbildungsphasen und möglicherweise auch Ruheperioden. Solche ‚Karrieren‘ können sich aktuell nur Gutbetuchte leisten. Sie widersprechen zudem unserer Vorstellung einer hierarchisch zu erklimmenden Berufslaufbahn. Ausserdem müssten dabei unsere Vorsorgesysteme entsprechend flexibel angepasst werden. Das von Höpflinger zitierte lebenslange Lernen haben auch wir am IAP uns auf die Fahne geschrieben.

Wie kann Aus- und vor allem Weiterbildung in der von ihm skizzierten Zukunft aussehen? Berufskarrieren sind nicht mehr linear definiert, verlaufen nicht mehr ausschliesslich im ursprünglich gelernten Lehr- bzw. Studienfeld und spielen sich nicht mehr bei nur einem Arbeitgeber ab. Bereits wurde in Analogie zu bestehenden Begriffen das Wort „Patchwork-Karriere“ kreiert. Das Miteinander von Arbeit und Lernen und der Wechsel von Berufswegen werden darin noch ausgeprägter in Erscheinung treten. Im Zeitalter der immer kürzer werdenden Halbwertszeiten ist kontinuierliches Lernen angesagt. Wir wissen bereits aus der Lernforschung, dass Lernen je nach Bedürfnis und Kontextsituation individuell gestaltet werden und sich konkret auf den Lebens- und Arbeitskontext beziehen sollte. Hier scheint mir, dass heute eher noch marginal bestehende Lerngefässe wie Erfahrungsaustausch, kollegiale Coachings, informelle Lernsituationen und Mentorings gegenüber den institutionalisierten Lernformen in thematisch fest definierten Studiengängen aufgewertet werden müssen. Es ist offensichtlich, dass in diesen offenen Lerngefässen vor allem auch ältere Menschen ihren Platz haben.

Lebenslanges Lernen und Austauschen von Erfahrungen

Diese Art des Lernens kann sowohl in den Betrieben selbst stattfinden als auch ausserhalb, wenn es darum geht, themen- und berufsübergreifende Zusammenhänge zu besprechen, auszutauschen, best practices vorzustellen und zu reflektieren. In der aktuellen Diskussion wird betont, dass der reinen Wissensvermittlung generell heute wegen der unbeschränkten Verfügbarkeit von Wissen im Netz eine weniger grosse Bedeutung zukommen werde. Gefordert ist deshalb nicht mehr nur ein Lernen in festgefügten Curricula, sondern ein Lernen voneinander. Hier sehe ich ein geradezu riesengrosses Potenzial! Neben dem konstanten Wissenserwerb muss gleichwertig ein Austausch über Wissen und Kompetenzen stattfinden; sie schaffen in einer Zeit der explodierenden Inhalte die notwendigen Orientierungen und Werthaltungen. Für das IAP tun sich hier thematisch und didaktisch spannende Herausforderungen auf: Auch ältere Menschen werden noch lernen (müssen) – als Lernende, vor allem aber auch in neuen Rollen als Mentoren, Leiter von ERFA-Gruppen, Projektleitende, Themen- und Prozessexpertinnen, und auch als Referentinnen, die in Studiengängen ihre Erfahrungen weitergeben. Das IAP könnte hier als kompetente Drehscheibe und zukunftsorientierte Lernwerkstatt dienen!


Über den Autor:
Gérard Wicht studierte Literaturwissenschaft, Pädagogik und Sozialpsychologie in Fribourg, Saarbrücken, Giessen und Wien. Er war Senior Training Consultant bei Swiss Reinsurance Company. Seine langjährige Erfahrung in den Bereichen Change Management, Einführung von e-Learning-Szenarien, Entwicklung von internationalen Ausbildungsprogrammen, Bildungsmanagement und Führung bringt er in den Weiterbildungslehrgang MAS Ausbildungsmanagement und diverse weitere Lehrgänge am IAP ein.


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