5 Fragen, 1 Projekt: «Ich versuche, das Verhältnis von Forschung und Praxis gar nicht erst als ein Spannungsfeld aufzufassen»

Mit ihrem interdepartementalen Projekt «Public COVID 19 pandemic discourses – a focus on vector populations (COVIDisc)» untersucht die ZHAW, wie Kommunikation erfolgreich zur Eindämmung der Pandemie beitragen kann. Letztere hängt stark von der erfolgreichen Kommunikation zwischen Public-Health-Organisationen und einzelnen sozialen Gruppen der breiten Öffentlichkeit ab. Zentral dabei ist, dass insbesondere hochmobile Bevölkerungsgruppen die Massnahmen zur Eindämmung der Pandemie verstehen und in ihrem Handeln mittragen. Der Schweizerische Nationalfonds unterstützt das Projekt, eine Zusammenarbeit der Departemente Angewandte Linguistik und Gesundheit sowie den Universitäten della Svizzera italiana und Triest mit CHF 193’400. Co-Projektleiter Dr. Philipp Dreesen erklärt im Interview, wie das Projekt erfolgreich aufgegleist wurde, wie aufwändig die Antragstellung war, was die Erfolgsfaktoren waren und was die nächsten Schritte im Projekt sind.

Wie habt ihr euch als interdisziplinäres Projektteam für dieses Projekt zusammengefunden und wie ist die Rollenverteilung innerhalb des Projekts?
Philipp Dreesen: Am Departement Angewandte Linguistik arbeiten der Fachbereich Organisationskommunikation und Öffentlichkeit von Peter Stücheli-Herlach und mein Bereich Diskurslinguistik des Fachbereichs Digital Linguistics seit einigen Jahren sehr eng in Projekten und Methodenentwicklung zusammen. Aus der Digital Linguistics arbeitet Julia Krasselt in einem Projekt von Julia Dratva mit, der Leiterin Forschungsstelle Gesundheitswissenschaften am Departement Gesundheit. Über dieses Projekt hat sich auch der Kontakt zu Suzanne Suggs von der Università della Svizzera italiana intensiviert. Angesichts der für uns allen neuen Situation mit COVID-19 war es für uns offensichtlich, dass wir als Beitrag zur Viruseindämmung linguistische, kommunikative und gesundheitswissenschaftliche Kompetenzen verbinden müssen. Mit Goranka Rocco von der Università degli Studi di Trieste als Projektpartnerin konnten wir dann noch eine Expertin für deutsch-italienische Diskurslinguistik hinzugewinnen. Unsere Rollen im Forschungsprojekt waren anfangs schon nach Expertisen aufgeteilt, denn jede und jeder von uns bringt nicht zuletzt durch Projekterfahrungen spezifische Vorkenntnisse und Vorstellungen ein – sei es in Theorie, Methode oder Anwendung. Wir merken aber in den Sitzungen, dass sich im Austausch von Ideen die Rollen schnell auflösen, was gut ist, denn wir wollen ja ein interdisziplinäres Forschungsdesign umsetzen. Die Rolle des Projektsprechers bleibt aber bei mir – wie man sieht.

Was waren deiner Meinung nach die entscheidenden Faktoren, dass ihr den Zuschlag dafür erhalten habt und ihr gefördert werdet?
Ich kann hier nur mutmassen: Wie immer ist es die Basis, dass in den Gutachten jedem und jeder von uns AntragstellerInnen absolute Expertise im jeweiligen Fachgebiet zugestanden wird: Von der Korpuslinguistik und der sprachvergleichenden Diskursanalyse über Public Health mit Schwerpunkt auf junge Erwachsene bis zur Forschung zu professioneller (Gesundheits-)Kommunikation. Zweitens haben wir uns auf einen Untersuchungsaspekt konzentriert: Aus medizinischen Gründen fokussieren wir auf die Optimierung der Kommunikation mit jungen bis mittelalten Erwachsenen. Dadurch ist auch das Projektvolumen insgesamt nicht so hoch ausgefallen. Drittens: Wir haben mit dem Korpus Swiss-AL eine Vorleistung aufrufen können, in das unter anderem Projektarbeit mit dem BAG eingeflossen ist. Somit konnten wir vielleicht in einem der zentralen Aspekte der Sonderausschreibung des SNF punkten: Geschwindigkeit der Ergebnisse.

Wie hoch war der Aufwand für den Projektantrag im Vergleich zu anderen Ausschreibungen?
Der Aufwand war einerseits grösser, weil die Frist der Ausschreibung sehr knapp bemessen war und nach meinem Eindruck recht schnell viele KollegInnen an einem Antrag interessiert waren. Dadurch kam es zu mehreren parallelen Gesprächen. Der Call war am 4. März draussen und am 25. März war die Deadline. Die Formierung des letztendlichen Antragsteams war durch die Pandemie weniger beeinträchtigt als dadurch, dass wir uns untereinander teilweise nur indirekt kannten. Andererseits: Es ist immer wieder beeindruckend, wie rasch ein Forschungsantrag unter Zeitdruck entstehen kann, wenn schnell Einigkeit über das Ziel erreicht wird und sich unterschiedliche Vorarbeiten gut ergänzen.

Welche Aspekte – neben den fachlichen Qualitäten – versuchst Du generell bei Projektanträgen hervorzuheben und zu betonen? (Forschungspartner, Infrastruktur,…?)
Das kommt natürlich auf das Fördergefäss an. Grundsätzlich versuche ich im Antrag, das Verhältnis von Forschung und Praxis gar nicht erst als ein Spannungsfeld aufzufassen, sondern integrativ darzustellen. Das gelingt sicherlich mal mehr, mal weniger gut. Je nach Gutachterkreis ist es für die Angewandte Linguistik oft sehr entscheidend, schnell verständlich zu machen, was wir mit welchen Methoden erreichen können. Sprache ist zwar allgegenwärtig und Kommunikation wird oft als Hindernis identifiziert – das deshalb manchmal auch die Problemlösung im Sprachgebrauch liegt, muss häufig erst ausführlich dargelegt werden. Das versuche ich dann entsprechend hervorzuheben.

Was sind nun die nächsten geplanten Aktivitäten und erwarteten Ergebnisse im Projekt, von denen wir hören werden?
Derzeit werden die kommunikativen Daten erhoben und verarbeitet: einmal in Form eines diskursanalytischen Korpus, einmal in Form von Umfragen und qualitativen Interviews. Parallel läuft die Vorbereitung zur Auswertung der Daten, was aufwändig ist, weil wir italienische und deutsche Texte aus der Schweiz untersuchen. Nach aussen stellen wir derzeit unser Projekt auf Tagungen und in Fachpublikationen vor, da uns zwei Dinge sehr wichtig sind: Impulse zu geben, um zu zeigen, dass auf die Herausforderung der Pandemie mit neuen interdisziplinären und transdisziplinären Forschungszuschnitten reagiert werden kann. Und dass wir, wie alle in der Forschung, auch in Ausnahmezeiten auf kritisches Feedback zu unserem Vorgehen angewiesen sind.

Zur Person:
Der promovierte Sprachwissenschaftler Philipp Dreesen leitet am Departement Angewandte Linguistik an der ZHAW den Fachbereich Digital Linguistics/Diskursanalyse. Zuvor war er an den Universitäten Bremen und Greifswald als Vertretungsprofessor, Wissenschaftlicher Mitarbeiter und Lektor tätig. An der ZHAW, wo er seit 2017 ist, sind seine Forschungsschwerpunkte Digitalisierung, Text- und Diskurslinguistik, Sprache und Politik/Politolinguistik, Sprache und Recht/Rechtslinguistik, Sprachgebrauch im 20. Jahrhundert, Sprachkritik, Postcolonial Language Studies sowie Sprachideologie.

Interview: Manuel Bamert

Siehe auch:

Schlagwörter: Covid-19, COVIDisc, Diskurse, SNF

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