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Kleider für die weitere Reise – und zum Austausch zwischen Lebenswelten

Mit ihrem Verein Act to unite fördern ZHAW- und ZHdK-Absolvent:innen die gesellschaftliche Teilhabe von Geflüchteten. Zum Beispiel durch eine Kleiderbörse.

Was bedeutet Babygrösse 52? Marion Caspar von Act to unite bereitet die Auslage für die Kleiderbörse vor. (Bild: ZHAW)

von Regula Freuler

«Für welches Babyalter passt das?» Marion Caspar hält einen winzigen Strampelanzug in die Höhe: «Da steht eine 52 auf der Etikette.» Fragend schaut sich die Sozialarbeiterin im Begegnungsraum beim Bundesasylzentrum Zürich (BAZ) um, wo ein Dutzend junge Leute damit beschäftigt sind, Hosen, Pullis, Shirts und Jacken übersichtlich zu präsentieren. Sie erntet ein paar ratlose Blicke und sortiert dann rasch weiter, denn in einer Viertelstunde geht es los, und die Kleiderbörse wird eröffnet.

Drei- bis viermal im Jahr organisiert der Verein Act to unite im Begegnungsraum, der vom GZ Wipkingen betrieben wird und organisatorisch nicht mit dem BAZ verbunden ist, eine solche Börse. Sie soll – wie alle Aktivitäten des Vereins – die gesellschaftliche Teilhabe von Menschen mit Migrations- und insbesondere Fluchthintergrund fördern und einen Austausch zwischen verschiedenen Lebenswelten ermöglichen.

Offenes Programm

Eingeladen sind deshalb explizit auch Einwohner:innen aus der Stadt. Jeden zweiten Samstagabend organisiert Act to unite einen zweistündigen Treff mit offenem Programm. Dann wird gekocht, musiziert, gespielt – was immer auf Interesse stösst oder angeregt wird. Einmal im Jahr findet ein Quartierspaziergang statt und einmal ein Ausflug aufs Eisfeld. «Am meisten Zulauf haben wir aber eindeutig bei der Kleiderbörse», sagt Marion Caspar, die im vergangenen Jahr ihr Bachelorstudium an der ZHAW Soziale Arbeit abschloss.

Inzwischen hat sie alle Kindersachen auf den Tischen drapiert und schaut, ob sie woanders mithelfen kann. Es ist Sonntagmittag kurz vor ein Uhr, draussen brennt die Sonne auf die Stadt. Vor der Türe stehen bereits einige Frauen und Kinder in der brütenden Hitze. Sie gehören zu den Geflüchteten, die maximal 140 Tage im Bundesasylzentrum darauf warten, wie über ihr Asylgesuch entschieden wird.

Koffer besonders begehrt

Koffer und Rucksäcke sind laut Caspar das begehrteste Gut bei der Börse. Als Act to unite am Vorabend die Waren herbrachte, hofften einige Besucher:innen vergebens, welche reservieren zu können. Klar: Wer nach der Flucht halbwegs hier angekommen ist und vielleicht wieder ein bisschen mehr Besitz hat, braucht etwas für den weiteren Transport.

Überall im Begegnungsraum stapeln sich Säcke mit Kleidern, alle säuberlich beschriftet. Aus einer Boom-Box erklingt Weltmusik. Jetzt geht die Türe auf, und zum Dutzend Freiwilligen von Act to unite gesellen sich sieben Männer. Angeführt von einem jungen Mann namens Jafar, beginnen sie sofort an der Küchenzeile zu hantieren.

Mit «Eusi Chuchi» hat Jafar in den vergangenen anderthalb Jahren zweimal wöchentlich im Begegnungsraum gekocht. Einmal verkaufte er auch selbst gemalte Bilder und spendete den Erlös unter anderem an Act to unite. «Nicht nur sein persönlicher Einsatz ist für den Verein enorm wichtig, sondern auch weil er super vernetzt ist», sagt Vanessa Thaler.

«Wer im Toni studiert, kommt jeden Tag am BAZ vorbei und sieht die Menschen im Asylprozess, die warten und warten. Wir sprachen immer wieder darüber und entschieden dann: Wir wollen etwas tun!»

Vanessa Thaler, Kunstvermittlerin, BA Art Education, ZHdK

Thaler hat an der Zürcher Hochschule der Künste (ZHdK) Art Education studiert. Sie, Caspar und fünf weitere befreundete Studierende am Campus Toni-Areal, wo sowohl ZHAW wie auch ZHdK untergebracht sind, taten sich im Herbst 2019 zusammen. «Wer im Toni studiert, kommt jeden Tag am BAZ vorbei und sieht die Menschen im Asylprozess, die warten und warten. Wir sprachen immer wieder darüber und entschieden dann: Wir wollen etwas tun!», erzählt Thaler.

Als Erstes organisierten sie die Samstagabendtreffs – und wurden alsbald von Corona ausgebremst. Jedoch konnten sie diese Zeit nutzen, um sich organisatorisch aufzustellen. Sie bestimmten einen Namen, gestalteten ein Logo, gründeten den Verein, stellten Statuen auf. «Wir wollten mehr auf die Beine stellen als nur die Treffs, und dazu braucht man Geld und Freiwillige », sagt Thaler. «Die Voraussetzung wiederum dafür ist Vertrauenswürdigkeit. Wir hoffen, dass das mit einer juristischen Form wie einem Verein gegeben ist.»

Spendenaktionen austüfteln

Für die Finanzen fand sich unlängst ein Experte. Gerade eben faltet er am Männerkleider-Tisch ein paar Jeans zusammen – das könnte schon fast sinnbildlich dafür stehen, wie Carey Albiez zu Act to unite gefunden hat: über einen Instagram-Post zur Kleiderbörse. Der studierte Betriebswirtschaftler meldete sich im vergangenen Jahr als freiwilliger Helfer. «Ich arbeitete bei einer Bank und sah mich nach einer sinnstiftenderen Tätigkeit um», erzählt er. Sein erster Einsatz sagte ihm auf Anhieb zu. Anfang 2022 stieg er gleich als Vorstandsmitglied bei Act to unite ein und gehört seither zur Arbeitsgruppe Moneta, die sich um Finanzfragen wie Fundraising kümmert.   

«Wir wollen zeigen, dass der Verein Act to unite nicht nur für Menschen aus der Sozialen Arbeit offen ist, sondern auch für solche aus anderen Bereichen – wie mich»

 

Carey Albiez, Betriebswirtschaftler und angehender Student der Pädagogischen Hochschule

Die Kosten des Vereins sind zwar sehr tief, dennoch benötigen sie mehr Spendengelder, etwa um das Mietauto für die Kleiderbörse oder Flyer zu bezahlen. Die AG Moneta sei derzeit am «Austüfteln» von passenden Spendenaktionen, sagt Albiez, der sich ab Herbst an der Pädagogischen Hochschule zum Primarlehrer ausbilden lassen wird. Ausserdem will man die öffentliche Präsenz erhöhen, zum Beispiel mit Info-Ständen an Quartierfesten. «Dabei geht es aber nicht nur um Geld. Wir wollen auch zeigen, dass der Verein nicht nur für Menschen aus der Sozialen Arbeit offen ist, sondern auch für solche aus anderen Bereichen – wie mich», fügt er lachend an.

Jetzt kommen die Männer

In der Zwischenzeit hat sich der Begegnungsraum mit Frauen und Kindern gefüllt. Armbeugen und Taschen füllen sich so rasch mit Kleidungsstücken, dass man kaum nachkommt mit Schauen. Wer fündig geworden ist, macht mit mehr Ruhe eine weitere Runde und begibt sich dann zu einem Tisch draussen. Dort müssen die Bewohner:innen des Bundesasylzentrums sich jedes Teil quittieren lassen, da sie beim Eingang ins BAZ kontrolliert werden.

Der Anteil an Männern ist gering. «Sie kommen meistens erst später», weiss Vanessa Kuku. Zusammen mit ihrer Namensschwester ist sie in der Arbeitsgruppe Kleiderbörse und organisiert diesen Anlass. Doch auch sie stellt jetzt fest, dass im Vergleich zum letzten Mal weniger Leute hier sind. Vielleicht weil die Zelte für die Registrierung von Ukraine-Geflüchteten seit April den Blick auf den Begegnungsraum versperren?

«Wertschätzung und Begegnung auf Augenhöhe gehören zu den Grundpfeilern von Act to unite.»

Vanessa Kuku, Studentin ZHAW Soziale Arbeit

Sie blickt zu ihrer Kollegin: «Hast du die Soz-Päd-Nummer?» Vanessa Thaler greift zum Telefon und bittet den Sozialarbeiter im BAZ per Kurznachricht, die Bewohner:innen zu informieren, dass die Kleiderbörse jetzt im Gange sei. Es vergehen keine zehn Minuten, und der Begegnungsraum ist wieder voll – diesmal vorwiegend mit Männern.

Als der erste Ansturm vorbei ist, machen Kuku und Thaler kurz Pause unter einem Sonnenschirm. Links und rechts von uns stehen nebeneinandergereiht Schuhe in allen Grössen, die im Begegnungsraum keinen Platz mehr fanden. Thaler und Kuku erzählen von ihrer Lernkurve mit der Kleiderbörse. «Am Anfang sind wir in Kleidern beinahe ertrunken», erinnert sich Vanessa Thaler. Sie stellt privat einen Raum zur Verfügung, wo der Verein die gespendeten Waren bis zur nächsten Börse deponieren kann. «Seither sortieren wir die Lieferungen strenger aus.» Der Entsorgungsaufwand würde sonst zu gross.

Allerdings habe die Menge an Unbrauchbarem auch stetig abgenommen. Vanessa Kuku pflichtet ihr bei: «Man merkt, dass die Leute mittlerweile genauer nach dem aktuellen Bedarf fragen, bevor sie etwas spenden.» Diesen Sommer wird Kuku ihr Bachelorstudium in Sozialer Arbeit abschliessen. Die Lehrveranstaltungen zum Schweizer Asylwesen kommen ihr bei der Arbeit für Act to unite sehr zugute, sagt sie. Hilfreich sei auch das erworbene Wissen zu Konzeptarbeit. Am meisten aber profitiere man von Diskussionen zu Haltungsfragen, die im Studium zentral sind: «Wertschätzung und Begegnung auf Augenhöhe gehören zu den Grundpfeilern unseres Vereins.»

Immer mehr BAZ-Bewohner:innen sitzen jetzt im Schatten der Fussgängerbrücke, manche schlafen, andere unterhalten sich. Ein paar Kinder beschäftigen sich mit Spielsachen, die sie vorhin ergattert haben. An unserem Tisch unter dem Sonnenschirm kommt bereits zum dritten Mal jemand der Freiwilligen vorbei mit einer Frage. Es ist Zeit, die Pause zu beenden, schon bald geht es ans Aufräumen. Vanessa Thaler und Vanessa Kuku sehen erschöpft aus – aber auch sehr zufrieden.

Act to unite – der Verein

Act to unite ist ein gemeinnütziger Verein und wurde im Mai 2020 von Studierenden der ZHAW Soziale Arbeit und ZHdK Art Education gegründet. Der Verein setzt sich für die gesellschaftliche Teilhabe von Menschen mit Migrations- und insbesondere Fluchthintergrund ein. Mit verschiedenen Aktivitäten wie Abendtreffs, Kleiderbörsen, Quartierspaziergängen und Ausflügen werden Begegnungsorte für Menschen aus verschiedenen Lebenswelten geschaffen. Die Aktivitäten sind partizipativ gestaltet. Die Mitgliedschaft ist kostenlos. Der Verein finanziert sich durch Spenden.

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