Digital Health Care: Modewort, Mogelpackung oder wirklich die Zukunft?

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Von Yamilée Schwitter und Prof. Dr. Alfred Angerer

Gesundheitssysteme weltweit sehen sich mit demographischen, technologischen, strukturellen sowie finanziellen Herausforderungen konfrontiert. Zwar begegnen die Akteure in den verschiedenen Ländern diesen Herausforderungen im Gesundheitswesen unterschiedlich, in einem scheinen sie sich global aber einig zu sein: Die Digitalisierung spielt eine wesentliche Rolle, um die Anforderungen der Zukunft zu bewältigen. Ich habe bei Prof. Dr. Alfred Angerer, unserem Experten für Management und Digitalisierung im Gesundheitswesen am Winterthurer Institut für Gesundheitsökonomie, nachgefragt.

«Ist Digitalisierung eine, oder gar DIE Antwort auf die Herausforderungen der Zukunft im Gesundheitswesen?»
«Ja, sie ist eine der Antworten auf all diese Probleme, aber nicht DIE Antwort. Ein digitalisiertes Gesundheitswesen ist ein besseres Gesundheitswesen. Es kann mehr leisten. Natürlich steckt auch viel Hype dahinter und nicht alles ist Gold, was glänzt.»

«Wo liegen die grössten Veränderungspotentiale durch (verstärkte) Digitalisierung im Gesundheitswesen?»
«Es gibt drei grosse Veränderungen:

  1. Prävention: Die glücklichsten Patientinnen und Patienten sind jene, welche nicht in Behandlung müssen und entlasten somit das Gesundheitssystem am meisten.
  2. Vernetzung von Berufsgruppen und Organisationen: Heute fehlt es an einer breit verteilten strukturierten Zusammenarbeit zwischen Berufsgruppen, die aber vernetzt sein müssten. Diese Vernetzungsthematik schauen wir im CAS Koordinierte Versorgung im Gesundheitswesen sowie im Weiterbildungskurs «Value-based Healthcare» detailliert an. Gesundheitsorganisationen arbeiten noch viel zu wenig über die inter-organisationalen Patientenpfade, trotz erstaunlich intensiver Datensammlung. Digital Health bietet das Potential, den Patientenfluss koordinierter zu analysieren und zu steuern.

Veränderungen bei den Akteuren selbst: Was verändert sich beispielsweise durch den Einsatz von Sensoren in den Arztpraxen und welche Neuerungen erwarten die Patienten durch die Digitalisierung?»

«Welche Bedeutung hat die Digitalisierung nun für unser Gesundheitswesen?»
«Lass es mich durch das «Können-Wollen-Dürfen-Modell» veranschaulichen: Das «Können» bereitet uns keine Probleme. Viele Technologien sind bereits vorhanden und wir sind in der Lage technisch viel umzusetzen. Jedoch gerade bei Weiterbildungsangeboten richten sich die Inhalte mehr an Ingenieure, anstatt an Fachkräfte im Gesundheitswesen selbst. Es steht das «Können», also die neuen Technologien im Zentrum, anstatt die Integration in die Prozesse, was eine Umsetzung fördern würde. Beim «Dürfen» haben wir in der Schweiz schon etwas grössere Probleme, da es kaum Anreizsysteme gibt, um digitaler zu werden. Durch ein fehlendes entsprechendes Tarifsystem für Telemedizin, werden beispielsweise Ärztinnen und Ärzte stark ausgebremst, auch wenn sie dieses befürworten würden. Das Hauptproblem liegt meiner Meinung nach aber beim «Wollen». Seit 15 Jahren wird über das Elektronische Patientendossier (EPD) gesprochen. Trotzdem ist es noch immer wenig bekannt und niemand will es wirklich haben – weder die Leistungserbringer noch die PatientInnen. Wir sind nicht weit gekommen, die Notwendigkeit der digitalen Transformation so zu kommunizieren, dass wir alle ein digitales Gesundheitswesen wollen und verstehen, warum wir es brauchen.»

«Wo müsste man ansetzen?»
«Es braucht eine breite Kommunikation in der Bevölkerung, welchen Mehrwert uns ein digitales Gesundheitssystem bringt. Denn es ist eine Frage der Akzeptanz der Technologie: Erst wenn jede/r Einzelne versteht, warum uns diese neue Technologie weiterbringt, haben wir die Antwort auf das «Wollen». Nur so können digitale Veränderungen angenommen und in den (Berufs-)Alltag integriert werden».
«Vielen Dank für das Interview, Alfred.»

Yamilée Schwitter ist MAS Studienleitung am WIG.

Alfred Angerer ist Leiter des Teams Management im Gesundheitswesen am WIG.


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