Eingabe löschen

Kopfbereich

Schnellnavigation

Hauptnavigation

Warum gute Betreuung viel mit Räumen und Zeit zu tun hat

Mit dem Ausbau von Tagesschulen und Tagesstrukturen sind sozialpädagogische Betreuungspersonen stark gefordert. Wie die Qualität trotzdem gewährleistet werden kann, erklärt ZHAW-Mitarbeiterin Andrea Scholian im Interview.

Eine der grossen Herausforderungen in der Betreuung: Trotz Aufsichtspflicht in der Schule dem Freizeitbedürfnis der Kinder nachzukommen. (Foto: Keystone)

Gemeinsam mit Gabriela Muri Koller haben Sie in sechs Zürcher Betreuungsinstitutionen Fallstudien durchgeführt, um mehr über konzeptionelle Grundlagen, gelebte Qualität und die grössten Herausforderungen von Tagesschulen und Tagesstrukturen herauszufinden. Was sind Ihre wichtigsten Erkenntnisse?

Andrea Scholian: Es gibt drei Haupterkenntnisse: Erstens, die Rahmenbedingungen sind zentrale Faktoren bei der Gestaltung der sozialpädagogischen Arbeit. Dazu gehören in erster Linie die Architektur des Schulhauses, die Anzahl und das Alter der Kinder und Jugendlichen sowie die Dauer der Betreuungszeiten. Die Rahmenbedingungen haben einen enormen Einfluss auf den gestalterischen Spielraum. Deshalb sollte man stets von ihnen ausgehend überlegen, wie Qualität in der Betreuung gestaltet werden kann. Dies wird übrigens auch im Zentrum unseres Weiterbildungskurses für sozialpädagogische Fachpersonen stehen. Die zweite Haupterkenntnis war, dass sich Betreuungspersonen stets in einem Spannungsfeld zwischen Aufsichtspflicht und dem Gewähren von Freiheiten befinden. Einerseits haben sie die Aufsichtspflicht in der Schule und andererseits handelt es sich um die Freizeit der Kinder und Jugendlichen. Die dritte Erkenntnis betrifft die Anerkennung der Arbeit.

Was meinen Sie damit?
Wir haben gesehen, dass die Betreuungspersonen viel qualitative Arbeit leisten, diese aber häufig nicht anerkannt wird und es für sie auch herausfordernd ist, klar benennen zu können, worin ihre qualitative Arbeit besteht.

«Im Weiterbildungskurs werden wir an den Ausgangssituationen der Teilnehmenden anknüpfen und ausgehend davon auch diskutieren, wie Qualität in den jeweiligen Betreuungseinrichtungen weiterentwickelt werden kann.»

Andrea Scholian, wissenschaftliche Mitarbeiterin am Institut für Kindheit, Jugend und Familie

Warum fällt es ihnen schwer?
Care-Arbeit ist leider generell weniger anerkannt im Vergleich zu anderen Berufen. Im Gegensatz zu Lehrpersonen haben Betreuungspersonen auch keinen Lehrauftrag zu erfüllen. Ihre Arbeit ist viel weniger klar definiert und offener, obschon ihre Arbeit von Rahmenbedingungen eingeschränkt wird.  

Wenn mehrere hundert Schüler:innen in kurzer Zeit ernährt werden müssen: Wie hält man da die pädagogische Qualität hoch?
Tatsächlich kann man vielerorts über Mittag weniger individuell und partizipativ auf die Schüler:innen eingehen. Aber es ist nicht unmöglich, Freiheiten für die Kinder zu schaffen.   

Können Sie ein Beispiel geben?
Ich denke da an die Anwesenheitslisten. Wir haben eine schöne Idee in einer Betreuungseinrichtung gesehen, wo jedes Kind und jeder Jugendliche seinen eigenen Namen beim Eintreten abkreuzt und zu einem späteren Zeitpunkt eine Betreuungsperson kontrolliert, ob sich alle abgekreuzt haben. Das funktioniert in der Mittelstufe an dieser Schule sehr gut. Solche Ideen haben wir bei den Institutionen, die an unserer Fallstudie beteiligt waren, gesammelt und in einem Kartenfächer zusammengestellt. Und wir werden in unserem Weiterbildungskurs von typischen Situationen im Betreuungsalltag der Teilnehmenden ausgehen.    

Wie sieht es mit dem Einhalten von Regeln und Ordnung aus, wenn die Zeit knapp ist?
Zwischen Ordnung und Regeln sollte man differenzieren. Ordnung ist eine subjektive Sichtweise. Was manchen Menschen als Unordnung erscheint, ist für andere vielleicht eine Ordnung. Zum Thema Regeln: Auch dazu gibt es ein gutes Beispiel im Kartenfächer. Ein Kind streitet sich häufig mit Freund:innen. Hier ist auf jeden Fall eine sozialpädagogische Betreuung im Sinne einer verstehenden Haltung und anerkennenden Begegnung nötig, nämlich dass die sozialpädagogische Fachperson unter anderem versucht, das Verhalten zu verstehen und nicht primär disziplinierend eingreift. Eine individuelle Betreuung ist im Kindergarten aufgrund des Betreuungsschlüssels eher möglich als in der Mittelstufe – aber eine individuelle Betreuung ist auch nicht in allen Situationen nötig. Einige Schüler:innen geniessen es, Zeit mit Freund:innen zu verbringen, ohne dass eine erwachsene Person in der Nähe ist. Auch das heisst, die Sichtweise und Bedürfnisse der Kinder einzubeziehen.

Sie haben vorhin das Spannungsfeld zwischen Aufsichtspflicht und dem Gewähren von Freiheiten erwähnt. Was kann man sich darunter vorstellen?
Insbesondere wenn man viele Kinder oder Jugendliche betreuen muss, tendiert man dazu, stärker zu koordinieren und einzugreifen, als es im Bereich der Freizeit, die ihren Namen verdient hat, üblich ist. Das Ziel ist dann oft, die Bewegung der Gruppen zu kanalisieren und in Gruppen zu organisieren.  

Wie lässt sich das vermeiden?
Je nach Alter, Schule, Gruppengrösse und so weiter können für Kinder und Jugendliche unterschiedliche und altersadäquate Freiheiten geschaffen werden – wie im vorhin genannten Beispiel mit dem Abkreuzen des eigenen Namens auf der Liste.  

In Tagesschulen und Tagesstrukturen müssen sich Betreuungs- und Lehrpersonen gut miteinander absprechen. Wie ist das möglich bei so unterschiedlichen Einsatzzeiten?
Dieses Thema wurde von vielen Betreuungspersonen, mit denen wir sprachen, aufgebracht. Es gilt, Zeitfenster in den Schulferien oder Zwischenstunden zu finden. Was man primär beachten sollte: Bei der Kooperation muss zuerst geklärt werden, von welchem Kooperationsverständnis ausgegangen wird. Betreuungs- und Lehrpersonen sollten gemeinsam überlegen: Was ist das Ziel unserer Kooperation und welche Zuständigkeitsform wollen wir? Wann geht es darum, dass Betreuungspersonen den Lehrpersonen helfen oder umgekehrt, und wann geht es um eine geteilte Zuständigkeit wie etwa das gemeinsame Planen und Durchführen einer Klassenratssitzung? Welche Kooperationsform wählen wir? Ist es ein Austausch, oder gestalten wir etwas gemeinsam wie ein Elterngespräch? Was ist der Kooperationsinhalt: Schülerrat, Ausflug, Mittagessen? Die Kooperation sollte letztlich zu einer Entlastung und Qualitätssteigerung führen. Die Zusammenarbeit zwischen Betreuung und Unterricht wird an Bedeutung noch mehr zunehmen. Umso wichtiger ist es, sich jetzt mit Fragen der Qualität zu befassen.

Weiterbildung, Workshops, Coaching: Angebote für Fachpersonen in Tagesschulen und Tagesstrukturen

Die Arbeit in Schulen und die sozialpädagogische Betreuungsarbeit ausserhalb der Unterrichtszeit stellen vielfältige Herausforderungen an die Fachpersonen. Arbeiten Sie als sozialpädagogische Fachperson in der Betreuung an einer (Tages)Schule? Sind Sie Lehrperson oder in der Schulleitung? Mit Weiterbildungsangeboten, Workshops, Inputreferaten, Coaching und mehr unterstützen wir Sie gerne dabei, trotz hoher Anforderungen die Qualität Ihrer Arbeit regelmässig zu überprüfen und zu gewährleisten.

Unsere Angebote