Sehr geehrte Damen und Herren
Meine Grossmutter mütterlicherseits war eine stolze Frau: Jeden Tag ging sie in verschiedenen Kostümen in die Stadt, um für ihre Nähkünste bewundert zu werden. Als sie gegen 90 ging, wurde sie dement und gegen ihren Willen ins Altersheim gebracht. Dort habe ich sie ab und zu besucht und ich spürte: So wollte sie eigentlich nicht mehr leben.
Wäre für meine Grossmutter das Sterbefasten eine Option gewesen? Ein Gedanke, der gar nicht so abwegig ist: In Schweizer Alters- und Pflegeheimen wählen jedes Jahr Hunderte schwerkranker Menschen den freiwilligen Verzicht auf Nahrung und Flüssigkeit (FVNF) als Weg, um selbstbestimmt zu sterben – wie eine ZHAW-Studie nun erstmals zeigt.
Doch das Phänomen wirft eine Reihe ethischer Fragen auf. Auch im Fall meiner Grossmutter: Bis zu welchem Zeitpunkt hätte man ihr aufgrund ihrer Demenz noch einen eigenen Willen für diesen letzten, grossen Entscheid zugeschrieben? Wie können wir verhindern, dass man einen alten Menschen nicht zu früh aufgibt und ihm Sterbefasten andichtet? Oder was tun, wenn Kinder das Sterbefasten ihrer alten Mutter verwehren? Es sind grundlegende Fragen, die nicht einfach zu beantworten sind, mit denen sich Fachpersonen und Angehörige, aber auch Politik und Gesellschaft auseinandersetzen müssen.
Freundliche Grüsse Andreas Gerber-Grote, Direktor ZHAW-Departement Gesundheit
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